Lost Places – Wann ist Lost eigentlich Lost?

 

Bekanntlich gibt es ja im Internet nichts, was es nicht gibt. Und was es auf alle Fälle gibt, sind verschiedenste Kanäle, die die Urbexer nutzen, um Filme und Fotos ihres Hobbies zu verbreiten. Urbexer? Sagt dir nichts? Dann musst du mal hier nachlesen. Kurz und sehr vereinfacht zusammengefasst, Leute die Freude daran haben Orte, Lost Places (LP), zu besuchen, die verlassen sind und das per Film oder Fotos dokumentieren. In aller Regel klar abzugrenzen von Dieben, weil sie nichts klauen (getreu ihrer selbstauferlegten Devise „Take nothing but pictures, leave nothing but footsteps“ [frei übersetzt „Nimm nichts ausser Fotos, Hinterlasse nichts ausser Fussabdrücken“]. Allerdings nicht ganz so klar abzugrenzen von Einbrechern, auch wenn sie das wohl nicht gerne hören. Aber wer fremdes Eigentum ohne Erlaubnis des Besitzers betritt… Egal, das soll hier nicht Thema sein.

 

Ich bin letztens über den Kanal einer Urbexer Gruppe Names „Grauzone“ gestolpert. (Die Homepage ist wohl gerade in Bearbeitung, man findet sie auf Facebook und sie haben einen Youtube Kanal.)

Dort gibt es ein Video namens „Lost Places – Gemachte Betten“ und das brachte mich zum Nachdenken.

 

Was ist eigentlich ein sogenannter Lost Place? Ab wann ist er Lost? Muss er eine gewisse kulturhistorische Bedeutung haben?

 

Doch von vorne. Die Grauzone Jungs betreten in dem Video ein Hotel, das doch noch in sehr gutem Zustand scheint. Es gibt schon Euro Auspreisung und die Küchenanlage scheint von den Geräten her auf halbwegs modernem Stand. Die Jungs gucken sich in dem Gebäude (das sie durch ein zurechtgebogenes Fenstergitter betreten haben, ob von ihnen oder Vorgängern sieht man nicht) um, und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die dem Film namensgebende Szene ist die, wo sie ein Hotelzimmer betreten, dass so aussieht, als wenn jederzeit Gäste dort einchecken können. Die Betten sind gemacht, die Handtücher hängen bereit etc pp. Letztendlich entdecken sie den Hauptsicherungskasten und siehe da, es liegt sogar noch Strom an. Sicherungen umgelegt und dann wird das Objekt mit Licht untersucht und mit der gefundenen Solarliege gespielt. Dann kommt man aber doch ins Grübeln, macht schnell alles wieder aus und verlässt das Gebäude, weil es wohl recht zentral an einer Strasse liegt und Angst da ist, entdeckt zu werden.

Dass das Hotel Lost ist, also verlassen, daran besteht wohl kein Zweifel. Türen sind zu, der Zugang erfolgt über ein (eigentlich mit Gitter zugebautes) Fenster. Wieviel Zeit muss nun vergehen, um es als Lost Place zu definieren? Bei Objekten wie Bunkern oder kriegsbedingte Produktionsstätten im Wald scheint mir da die Antwort einfach. Bei Fabriken, wie zum Beispiel eine jetzt nicht näher erwähnte Cottbuser Bäckerei, wird das schon schwieriger. Sind sie wirklich verlassen oder befinden sie sich vielleicht gerade nur in einer Art Übergangsphase von einem Besitzer zum Nächsten? Ok, unsere Bäckerei hier ist wirklich verlassen.

 

Im Video wird ein Hotel gezeigt, in dem selbst noch Nahrungs- und Genussmittel gelagert sind. Ich stelle nochmal die Frage, wieviel Zeit muss vergehen, wieviele Einbrecher und Diebe (klar abzugrenzen von Urbexern!) müssen das Objekt aufsuchen und leer räumen, bis es „klarer“ nach Lost Place aussieht?

 

Diese Frage wird wohl nicht klar zu beantworten sein und jeder wird sich darauf sie Antwort geben, mit der er zurecht kommt. Wenn ich nach der kulturhistorischen Bedeutung Frage, wird das wohl ein noch streitbareres Thema. Ist denn dieses Hotel kulturhistorisch? Oder war der Besuch dort nur ausgelebter Voyeurismus? Ich frage ganz bewusst so provokant. Und ich möchte noch mehr zuspitzen und übertreiben. Wenn mich die Nachbarwohnung interessiert, darf ich dann unter dem Deckmantel des “Urbexertums” mit Fotoapparat und Filmkamera bewaffnet in des Nachbars Abwesenheit seine Wohnung betreten und mich dort umschauen? Vielleicht wäre ein mögliches Ausschlusskriterium, für einen LP, wenn man weiss, dass jemand zu ihm zurück kommt? Aber wann weiss man das?

Der Hauptprotagonist in dem Grauzone Video schüttelt immer wieder überrascht den Kopf. Das wirkt, auf mich, wie anklagend. Was klagt er an? Wieso so viele, noch nutzbare Konsumgüter hier vor sich hin rotten? Wieso es so unaufgeräumt und schmutzig ist? Du merkst, ich spitze schon wieder zu.

 

Ich möchte gerne mit dir ins Gespräch kommen. Schreib doch mal in Kommentare was du so zu Lost Places zu sagen hast. Wo denkst du, liegt die Faszination darin? Müssen LPs kulturhistorisch bedeutsam sein? Oder ist ja alles irgendwie Geschichte? Und ab wann ist ein LP eigentlich ein LP und nicht nur ein unaufgeräumter Schuppen?

 

Ich bin mir bewusst, dass das Thema polarisiert. Und 2 Dinge will ich hier überhaupt nicht. Juristische (Laien-)Diskussionen über hätte, könnte und würde. Jeder ist für sich und sein Handeln zu erst mal selbst verantwortlich und sollte wissen, was er wie, wann tut und in welchem gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmen er sich bewegt. Ein „mit dem Finger aufeinander zeigen“ wer nun wie gegen was verstossen hat ist keine Diskussionsgrundlage, sondern zänkisches Kindergartengehabe.

Das Zweite was ich nicht möchte, sind Angriffe oder Anfeindungen auf Grauzone. Das von mir erwähnte Video ist nur ein Beispiel. Das Netz (und Youtube) sind voll von Urbexern, die (scheinbar) gerade verlassene Hotels etc durchstreifen. Dazu soll sich jeder seine Meinung bilden. Wäre aber auch keine Grundlage für eine Diskussion, wie ich sie mir hier wünsche.

1 Gedanke zu „Lost Places – Wann ist Lost eigentlich Lost?“

  1. Also meine 2 Cent zur Frage “Lost oder nicht”: Auf den ersten Blick als längere Zeit nicht mehr genutztes Gebäude/Areal zu erkennen. Jedenfalls als grobe Einstufung. Eine kaputte Telefonzelle fällt nicht darunter
    Das kann eine alte Bunkeranlage sein, ein verlassenes Wohnhaus oder auch eine Wüstung, sogar eine aufgegebene Bahnstrecke mitsamt den alten Brücken und Bahnsteigresten irgendwo im nichts ist für mich Lost Place – fairerweise muss man aber sagen, dass hier in der Gegend die Auswahl nicht so groß ist, da ist man dann etwas großzügiger bei der Auslegung.

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